Das Patienten-Arzt-Verhältnis

Autoren: Prof. Andreas Raedler, Martina Spehlmann


-  Der Weg zur Diagnose
-  Was erwartet der Patient?
-  Was denkt der Arzt?
-  Welche Problemlösungen sind denkbar?
-  Wie wäre die Kommunikation zwischen Arzt und Patient zu verbessern?
-  Weiterführende Literatur


Der Weg zur Diagnose

Die Zeit bis zur richtigen Diagnose eines Morbus Crohn oder einer Colitis ulcerosa stellt für jeden Patienten eine große Belastung dar, insbesondere wenn die Ärzte-wie leider nicht selten- sehr lange brauchen, bis sie am diagnostischen Ziel sind. Hat das Kind dann einen Namen, ist die Verunsicherung bei Leibe noch nicht zu Ende. Bald merkt der Patient nämlich, dass auch sein Arzt bei der Diagnose Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa hinsichtlich Therapie und Prognose nicht so sicher ist wie sonst bei anderen Krankheiten. Denn obwohl chronisch entzündliche Darmerkrankungen bei den seltenen Krankheiten zu den häufigeren gehören (nämlich über 100 auf 100 000 Einwohner), hat jeder Arzt im Durchschnitt kaum mehr als einen Patienten (wenn überhaupt), was natürlich nicht ausreicht, solide Kompetenz zu erwerben. Besondere Fachkenntnisse werden auch deshalb nicht vertieft, weil Ärzte im sogenannten niedergelassenen Bereich ebenso wie Krankenhausärzte gehalten sind, sich auf das Krankheitsspektrum zu konzentrieren, mit dem sie täglich in der Praxis konfrontiert sind. Allgemein gilt, dass man nur das kann, was man täglich macht. Auch im außerärztlichen Bereich findet der Patient zunächst keine Hilfe. In den meisten Fällen kennt der Betroffene niemanden in seiner Familie und seinem Bekanntenkreis mit einer solchen Erkrankung und kann weniger darauf hoffen, Rat und Trost zu bekommen. Eine realistische Einschätzung der Bedeutung dieser Diagnose für sein künftiges Leben ist erst mal nicht möglich.. Der Patient fühlt sich also am Anfang seiner Krankengeschichte oft alleingelassen und muss lernen, sich selber zu helfen. Dies kann leider durchaus auch für seine weitere Krankenkarriere gelten, wenn die üblichen Standardtherapien versagen oder sich zusätzliche Komplikationen ergeben.

Was erwartet der Patient?

Der Patient wünscht sich also eigentlich einen Arzt, der alle Kenntnisse und Erfahrungen besitzt, auch einen kompliziert verlaufenden Morbus Crohn oder eine schwierig einzustellende Colitis ulcerosa erfolgreich zu behandeln und darüber hinaus die Bedeutung neuer sowie alternativer Behandungsformen abschätzen zu können. Dieser Arzt sollte aber auch ausreichend Zeit (1/2 bis 1 Stunde pro Termin) mitbringen und die Geduld haben, um einfühlsam über die allfälligen emotionalen, sozialen, psychologischen, familiären und tagespraktischen Probleme beraten zu können oder sich diese zumindest anzuhören. Und er sollte um die Ecke wohnen. Einen solchen Doktor zu finden ist sicher den allerwenigsten CED-Patienten vergönnt. Also was tun ?

Was denkt der Arzt?

Der Arzt möchte seinem Patienten die eigene ärztliche Kompetenz demonstrieren, die richtige Diagnose stellen, die richtige Behandlung einleiten, d.h. ihm helfen. Und das mit rationellem (also möglichst geringem) Zeitaufwand. Entzieht sich der Patient der richtigen Diagnose und der erfolgreichen Therapie, ist der Arzt erst irritiert, dann frustriert. Das führt im unglücklichsten Fall zu einer Überweisung zum Psychotherapeuten. Außerdem muss der Arzt damit rechnen, dass -früher oder später- der Patient in Bezug auf CED über mehr Expertise verfügt als er selber. Ein unkluger Hausarzt - verfangen im Glauben an ärztliches Allwissen und voller Angst vor den gefürchteten Koryphäenkillern- fängt an, sich mit seinem Patienten zu streiten und demontiert damit seine Autorität.
Ein guter Hausarzt akzeptiert den hohen Informationsstand seines Patienten wohlwollend und konzentriert sich auf seine Kompetenz im Bereich der restlichen Medizin, die sein Patient ja auch zusätzlich benötigt. Aber auch für den Facharzt oder gar den CED-Experten gelten CED-Patienten als anspruchsvoll, wenig gewinnbringend (geringe Punktzahl bei großem Zeitbedarf) und Budget-belastend (wegen der angeblich `teuren´ Medikamente). Sie sind also nicht immer nur beliebt. Andererseits freut sich ein Arzt, nicht immer nur mit `banalen´ Erkrankungen (die es aber eigentlich gar nicht gibt) sondern mit `richtigen´ Krankheiten zu tun zu haben, die ihn anständig fordern, an denen er sich austoben kann (alles Originalzitate): eine Einstellung, die dem Patienten auch nicht unbedingt nützt.

Welche Problemlösungen sind denkbar?

Aus vielen Jahren Erfahrung könnte ein für den Patienten geeignetes und praktikables Modell darin liegen, dass sich um den Betroffenen ein Beratungs- und Behandlungs-Team bildet. Zu dieser therapeutischen Mannschaft gehört im besten Fall ein Hausarzt oder hausärztlich tätiger Internist sowie ein Experte für CED-Erkrankungen (als niedergelassener Gastroenterologe oder gastroenterologisch tätiger Krankenhausarzt, wobei allerdings nicht jeder Magen-Darmspezialist auch als ein Fachmann für Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gelten kann). Der CED-Experte sollte auch möglichst der Arzt sein, der den Patienten Darm-spiegelt: Nur ein Doktor, der jeden Tag mehrere CED-Patienten endoskopisch untersucht, kann für eine komplikationslose, fachgerechte und für den Betroffenen angenehme Untersuchung sorgen. Darüberhinaus sollte derjenige, der den Befund an der entzündeten Schleimhaut sieht, auch die Therapie festlegen. Und schlussendlich ist eine gute Koloskopie der Garant für das solide Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt. Der Wirkungskreis von ärztlichen Experten für CED erweitert sich durch die Etablierung von Patienten-Schulungen als Wochenendseminare und Schulungsangebote im Internet (z.B. CED-Hospital.de)
Für den neu-diagnostizierten Patienten in besonderem Maße gehört in die Beratungsmannschaft ein mit der Krankheit und deren Betreuung erfahrener Betroffener innerhalb oder außerhalb einer Selbsthilfegruppe. Die Informationen, die er hier bekommt, sind unersetzlich und der emotionale solidare Beistand erst recht: Der Patient bekommt erstmals das Gefühl, nicht gänzlich allein zu stehen und als einziger dieser als unheimlich empfundenen Erkrankung ausgesetzt zu sein. Die Betroffenenberatung wird ergänzt durch die Arbeit der Selbsthilfegruppen und der Patientenvereinigungen, die Informationsvermittlung und kritische Informations-Bewertung organisieren. Dieser letzte Punkt gewinnt an Bedeutung, da durch das mediale Angebot (insbesondere Fernsehen und Internet) nicht die Beschaffung von Kenntnissen, sondern deren sachgerechte Einschätzung zum Problem zu werden droht.
Unbedingt zum Team gehört ein Ernährungswissenschaftler (Ökotrophologin/ Ökotrophologe, ein(e) Diätassistent(in) reicht in der Regel nicht). Die Empfehlung, dass jeder Patient selber herausbekommen soll, was er verträgt, ist eine unverantwortliche Vereinfachung.
Wenn auch nicht von jedem Patienten benötigt, gehört auch ein Psychotherapeut zur Mannschaft, weniger zur Ursachenforschung, häufiger, um die sich durch die Krankheitssymptome ergebenden Probleme lösen zu helfen. Ein besonderer Punkt in der Patienten-Arzt-Beziehung (insbesondere zwischen CED-Experten und Betroffenen), ist die Frage der Teilnahme an Medikamentenstudien. Natürlich ist es viel angenehmer, jedem Patienten ein individuelles Therapiekonzept zu schneidern. Andererseits gibt es eine gleichsam moralische Verpflichtung der Teilnahme an solchen Studien für den Arzt wie für den Patienten. Alles verlässliche Wissen über eine erfolgreiche Behandlung verdanken wir Patienten (und Ärzten), die in der Vergangenheit an solchen Untersuchungen teilgenommen haben. Jeder Fortschritt in der Therapie der CED-Krankheiten wird darauf basieren, dass wir weiterhin an Studien teilnehmen: Es gibt so etwas wie einen Generationsvertrag, der uns daran bindet. Daneben beinhalten Medikamenten-Testungen aber auch einen individuellen Vorteil für die Teilnehmer: Man kommt frühzeitig an neue wirksame Medikamente heran (ein enormer Vorteil, denke man in jüngerer Zeit nur an das Behandlungskonzept mit dem Medikament Remicade). Aber selbst einem Patienten in der Placebogruppe (Kontrolle mit Scheinmedikation) geht es während und nach der Untersuchung nachweislich besser: Er profitiert offensichtlich von der sehr engmaschigen Behandlungskontrolle und der suggestiven Initiierung seiner Selbstheilungskräfte. Auch das Verständnis zwischen Arzt und Patient kann sich durch die in einer Studie sehr intensive Zusammenarbeit und das bessere Kennenlernen erheblich verbessern.

Wie wäre die Kommunikation zwischen Arzt und Patient zu verbessern?

Eine gelungene Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist die Voraussetzung dafür, dass sich der Arzt ein umfassendes Bild von der Situation des Patienten machen und angemessen diagnostisch und therapeutisch handeln kann. Dem Arzt-Patienten-Gespräch kommt dabei eine Schlüsselfunktion in Bezug auf den weiteren Krankheitsverlauf des Patienten zu.
Noch vor wenigen Jahrzehnten standen die Ärzte dem Patienten als unanfechtbare Autoritäten gegenüber (`patriachialische Medizin´). Ihr Verhalten war selbst- das heißt arztzentriert, was sich in dem sehr einseitigen Stellen von direkten Fragen, dem bloßen Sammeln von Informationen ohne einen richtigen Dialog, der alleinigen Entscheidung und dem Diktat von Anweisungen an den Patienten äußerte. Ein anschauliches Bild für solch eine asymmetrische Kommunikation war die Visite: Während der Patient mehr oder weniger unbeachtet im Bett lag und sich nur auf Ansprache hin äußern durfte, sprachen die Ärzte über den Patienten und entschieden über seinen Kopf hinweg. Im Laufe der Zeit wurde diese Machtposition des Arztes durch einen patientenorientierten Verhaltensstil entschärft: Der heutige Arzt hört idealerweise seinem Patienten aktiv zu, stellt offene Fragen, nennt dem Patienten Entscheidungsalternativen und lässt ihn den ihm angemessenen Weg selber wählen.
Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient wird jedoch auch von den inneren Einstellungen des Patienten in Bezug auf seine Krankheit beeinflusst: Ein Teil der Patienten betrachtet allein das Schicksal oder den Zufall als Ursache ihrer Krankheit: Nach dieser fatalistischen Anschauung gibt es keine Möglichkeit, den Verlauf der Krankheit zu beeinflussen. Eine anderer Teil der Patienten glaubt an die Möglichkeit, durch "innere Kontrolle" Einfluss auf den Verlauf ihrer Krankheit nehmen zu können. Diese Patienten neigen eher dazu, an Maßnahmen der Gesundheitserhaltung teilzunehmen. Gemein ist diesen beiden Anschauungen das allzu menschliche Bedürfnis nach einer kausalen Erklärung. Der Arzt kann diesem Verlangen durch Informationsvermittlung entgegenkommen. Generell gilt, dass je stärker das Ausmaß subjektiv empfundener Anfälligkeit für eine bestimmte Krankheit und je schwerwiegender die vermuteten Auswirkungen, desto eher werden zum Beispiel Früherkennungsmaßnahmen für Krebs (kolorektales Karzinom) in Anspruch genommen. Will der Arzt seinen Patienten erfolgreich motivieren, die gegebenen Empfehlungen einzuhalten, so ist es sinnvoll und notwendig, Ängste und Besorgnis, Erwartungshaltungen und Überzeugungen des Patienten zu einem jeweiligen Problem in Erfahrung zu bringen.

Ein Faktor, der ebenfalls zum Gelingen einer effektiven Kommunikation beitragen kann, ist das räumliche Umfeld: Die Institution Krankenhaus schränkt den Patienten oft erheblich durch eine starre Tagesplanung in seiner Autonomie ein. Zudem sind die Patienten durch ihre Krankheit oft längere Zeit von ihrem sozialen Umfeld (Arbeit, Familie) getrennt. Dies kann zu einer emotionellen Abhängigkeit vom Arzt führen. Der Arzt kann dieser Entfremdung durch Schaffung einer "Wohlfühlatmosphäre" (große, helle Räume, freundliches Personal), emotionelle Unterstützung und dem Einbezug der Angehörigen entgegenwirken.

Letztendlich darf auch das Gespräch als solches nicht unterschätzt werden. Dieses kann in seiner simpelsten Form bereits Teil der Therapie sein: Durch Informationsvermittlung können Ängste vermindert, Konflikte und soziale Aspekte können herausgearbeitet und besprochen werden. Das Lob des Arztes bei einem Erfolg kann die Mitarbeit des Patienten positiv verstärken und diesen für eine weitere Zusammenarbeit motivieren. Durch aktives Zuhören bietet sich dem Arzt die Chance, dem Patienten mit Authenzität seine Empathie, emotionale Zuwendung und Anteilnahme zu beweisen.

Das Verhältnis zwischen Patienten und Ärzten ist natürlich an kulturelle, soziale und geographische Vorgaben geknüpft, es gibt keinen idealen Arzt für alle Patienten und keinen idealen Patienten für alle Ärzte. Allerdings hat man den Eindruck, dass in den letzten Jahrzehnten das Verhältnis sehr viel partnerschaftlicher oder sogar kameradschaftlicher geworden ist. Neue Probleme, die es in Zukunft zu lösen gilt, entstehen aber allein durch die unübersehbar sich verändernden Verhältnisse in der Gesundheitspolitik. Zum Arzt sollte man bekanntermaßen geboren sei. Nietsche bemerkte allerdings, dass man `für seinen Arzt geboren sein müsse, sonst bringe dieser einen zu Grunde´.

Weiterführende Literatur:
Christoph Schmeling-Kludas. Die Arzt-Patient-Beziehung im Stationsalltag. Psychologie in der Medizin. Edition medizin. VCH Weinheim, 1988.
Lüth P. Sprechstunde und stumme Medizin. Über das Patienten-Arzt-Verhältnis. Herder & Herder Frankfurt 1974
Wilker, Bischoff, Novak: Med. Psychologie und Med. Soziologie, Urban & Fischer 1994

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