Der authentische Bericht eines jungen Mannes, der sich mit seiner Krankheit abfindet, aber nicht mit allem anderen

Keni Wright
(aus dem Amerikanischen übertragen von den Herausgebern der Website)
» Folge 2
Folge 3

...
Prince saß in der Hibiskus-Ecke des Wartezimmers und dachte an den vergangenen Abend im Legendary. Was heißt Wartezimmer? Es handelte sich um den hochinszenierten, patientenfeindlichen Abschnitt des Ambulatoriums von Prof. Hugo M., sozusagen einen Vortempel eines Halbgottes, des ersten Arztes an der Universitätsklinik dieser Stadt: Knöcheltiefe Teppiche, spaceiges Furniture und Westcoast-Bilder an der textilunterfütterten Wand. Überall Regenwald-Bepflanzungen, aber keine Toiletten! Nur das Adrenalin in seinem Blut sorgte dafür, dass er sie nicht so sehr vermisste wie sonst. Es stank nach Kunst und Kunstfehlern.
"Hierher kommt niemand ohne Machete durch", dachte Prince.
Das Gespräch gestern mit Madhouse ging ihm nicht von der Seele. Sie hatten viel Konspiratives besprochen, sie hatten sich gut verstanden. Sie hatten festgestellt, dass ihnen dieselben Ziele vorschwebten und mussten sich nur über die Taktik einigen. Darin lag das Problem: Was Prince im Herzen bewegte, wollte Madhouse nicht gutheißen, zumindest nicht im Detail: Es sei ihm nicht journalistisch-investigativ genug. Schließlich sei er 30 Jahre einen anderen Weg gegangen. Prince konnte das verstehen. Aber er, Prince, wollte ein Zeichen setzen, ein weithin sichtbares Fanal. Etwas, woran sich die Leute noch lange erinnern würden, und etwas, das Wirkung zeigte:
Prince war in der Sierra Maestra auf dem Weg nach Havanna, Madhouse saß im Zentralkommitee der sozialistischen Parteien. Prince überlegte sich, ob er eine Locke aus dem Teppich schneiden solle, als Erinnerung, aber er wusste nicht, ob man die Sprechstundenhilfen, die er sowieso noch nicht richtig zu Gesicht bekommen hatte - vermutlich, weil er keinen Smoking trug - um eine Schere bitten dürfte. Prince sinnierte über seine eigenen Unzulänglichkeiten und dass ein Medizin-Guerillero heutzutage in der einen Schuhsohle Sprengstoff und in der anderen ein Teppichmesser mit sich führen sollte:
Er grübelte darüber nach, wie ein Warteraum, der so üppig begrünt war, eine so eiszeitliche Atmosphäre verbreiten konnte. Aber egal, Prince wollte hier schließlich nicht einziehen und auch wiederkommen höchstens ein einziges Mal.
Nach Ewigkeiten tauchte, zwischen Kongo-Lianen und Rauschenberg (eigentlich nur "so eine Art Rauschenberg-Animation") eine weitere Hohepriesterin auf. Nicht die, die ihn begrüßt hatte (was heißt begrüßt) aber offenbar derselbe Arroganz-Level.
"Waren Sie schon einmal bei uns?".
Sie nahm ihn nicht wahr, aber sie sprach zu ihm, stellte die Frage so, dass es sehr rhetorisch wirkte. Offensichtlich war sie der Meinung, jemand wie Prince könne noch nie hier gewesen sein und es würde auch in Zukunft nicht von ihm erwartet. Prince überraschte das präprofessorale Bollwerk durch Gelassenheit und forciertes Selbstvertrauen. Das kontrastierte zu seinem vernachlässigten Äußeren und schien sie zu beunruhigen als er antwortete:
"Nein", aber er habe gehört, Prof. Makak wäre ein in der ganzen Breite der Galaxis bejubelter Experte für die Krankheit, unter der er litt. Deswegen, und weil er so etwas wie ein Funktionär (das Wort tat ihm weh) der CED-Kranken sei, wäre er jetzt hier. Die Kalifatin des Wartebereichs zog eine halbe Augenbraue in die Höhe, um anzudeuten, dass sie die Antwort schon ahnte und wollte wissen: "Ob er Privatpatient sei".
Eine Frage, die hier nicht oft gestellt wird, weil man unbedingt davon ausgeht.
"Natürlich", entgegnete Prince. "Glauben Sie, ich bin für eine Firma krank?"
Seine Gegenüberin war viel zu sehr Profi, um sich irgendetwas anmerken zu lassen. Schon gar nicht eine Reaktion, die die Möglichkeit einschloss, man hätte ihren Humor auf den Punkt getroffen.
Prince war enttäuscht und musste nun ein Anmelde-Formular ausfüllen, das ihn zu Namen, Geburtsdatum und ähnlichem befragte und das keinen Spielraum ließ für humoreske Finten. Über dieses Dokument schien üblicherweise lange gebrütet zu werden, denn in der nächsten Viertelstunde passierte gar nichts, in der darauf folgenden halben Stunde ebenso wenig. Als er darüber nachdachte, ob man sich selber als vermisst erklären könnte, bekam er immerhin den Bescheid, er müsse sich noch ein wenig gedulden.
Dieser überarbeitete Chef-Arzt, so ging es Prince durch den Sinn, wird eine Unzahl von Wartezimmern vorhalten, in denen Scharen von Privatpatienten, Tycoone, Präsidenten, Superstars auf Wundertaten warteten.
Eine Stunde war vergangen, als ihm beschieden wurde, der Professor sei wegen eines Notfalls unabkömmlich und könne heute keinen Termin mehr wahrnehmen. Außerdem wäre da noch die Frage seines Versicherungsstatus. Der Professor dürfe (so leid es ihm täte) nur Privatpatienten behandeln. Seine Krankenkasse - die Vorzimmertusse meiste natürlich Princes' Versicherung - würde die professoralen Honorarkosten nicht tragen (seiner Versicherung würde nicht geglaubt). Dafür müsse er dann selber aufkommen. Prince gab zu verstehen, dass er dazu bereit sei. Es handele sich um keine geringen Summen, wurde ihm bedeutet.
"Macht nichts", beschied Prince, vermutlich gegen den Rat seines Steuerberaters, wenn er einen hätte.
Es dauerte allerdings noch gut 5 Wochen (fünf) bis er - trotz des Offenbarungseides - einen neuen Termin wahrnehmen durfte, diesem Wundermann chronischer Darmunpässlichkeiten tatsächlich gegenübersaß und das Wort an ihn gerichtet wurde.
"Sie sind?", fragte der Prof., der Kittel so steif wie die Stirn. Das Hemd roch nach Fifth Avenue.
"Prince ist mein Name", sagte Prince.
"Sie können sich vorstellen, dass ich außerordentlich wenig Zeit habe," wurde ihm wichtig bedeutet, "aber meine Sekretärin meinte, dass Sie etwas Wichtiges vorzubringen hätten. Schießen Sie los".
"Herr Professor, Sie sind eine so genannte Crohn-Koryphae auf dem CED-Gebiet, sagt man. Bevor ich Ihnen mein Anliegen erläutere, eine Frage: Wenn man ein so großer Experte ist auf diesem Gebiet, wie kann man dann Kranke abweisen, nur weil sie nicht bezahlen können? Ist das ethisch? Wäre es nicht selbstverständlich, dann auf ein Honorar zu verzichten?"
"Sind Sie gekommen, mir Moral zu predigen? Was geht Sie das an?".
"Ich habe gar keine Veranlassung, mit Ihnen darüber zu diskutieren. Also: Kommen Sie zur Sache".
"Herr Professor, stimmt es, dass Sie bei jeder Stationsvisitation, egal wie viele andere Ärzte und Krankenschwestern anwesend sind, Ihren Crohn-Patienten den Finger in den Arsch stecken, Schmerz und Scham egal?"
"Raus!".
"Herr Professor, stimmt es, dass Sie Therapieversuche mit Ihren Patienten gemacht haben, ohne diese davon in Kenntnis zu setzen?" "Raus! Verschwinden Sie! Ich will Sie hier nicht wieder sehen, verschwinden Sie, Sie Spinner!".
Aber Prince war schon längst gegangen, er hatte das letzte Kompliment gar nicht hören können. Er dachte bei sich: "Grundgütiger, ich habe mein Äußerstes versucht, aber er wollte mir nicht zuhören, obwohl es nur zu seinem Besten war". Drei Tage später saß Prince wieder in seinem Lieblingscafe - diesmal dem Central - schlürfte Espresso, paffte eine Camel und öffnete einen Briefumschlag. Prince pfiff anerkennend zwischen Lippen und Zähnen.
"Die Rechnung vom Professor, so schnell wie hoch".
Er nahm die oberste Tageszeitung von dem Stapel, den er auf dem Tisch dekoriert hatte. Es roch nach Staub und Coffein. In der Luft war ein vorsonniges Morgenglimmern, das viel versprach für den Tag. In seinen Ohren mischte sich der Straßenlärm mit der Rockmusik des Central.
Ihn interessierte nicht Sport, nicht Krieg, sondern nur der Skandal an der medizinischen Klinik der Universität.

Fortsetzung folgt...

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