Der authentische Bericht eines jungen Mannes, der sich mit seiner Krankheit abfindet, aber nicht mit allem anderen

Keni Wright
(aus dem Amerikanischen übertragen von den Herausgebern der Website)
» Folge 1
Folge 2

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Prince hatte sich im Legend, einem Biercafé mit großer Vergangenheit (die allerdings keiner so recht erinnern konnte) und zweifelhafter Zukunft eingefunden. Hier sollen einst die Großen des Musikgeschäftes zu Hause gewesen sein. Doch von diesem Glanz war heute nicht mehr die Rede. Auch war keinem erinnerlich, um welche Celebritäten und welche Celebri-Taten es sich denn gehandelt haben sollte. Das Innere der Ausschenke sah bieder aus, mit nachgestelltem Rockoco in schweren Goldrahmen an den Wänden und Möbeln, zwischen Antik und Frantik, von Generationen als zeitlos deplaziert gescholten: Ein Arrangement, das man in Biederland als gemütlich bezeichnet. Daneben einige Dalirante Expos. Warum das? Ins Auge fielen einige glasgearbeitete Raumteiler mit eisenumschmiedeten Umfassungen, Raubbeute, original in russischen Basiliken zu Hause, die einen innenarchitektonischen Kontrapunkt bilden sollte. Der Boden des Saales war dreigeteilt: Das Parkett links und rechts zu Emporen erhöht. Dort und in der Mitte standen Reihen von Vierer- und Sechserplatz-Tischen, zu drei Zeilen kommandiert. Ein kleines Eingangs-Separé, an beiden Seiten abgetrennt durch die prä-sibirische Glaskunst, die Seitenwände mit Fensterrahmen geschmückt, und frontal ein Tresen, dahinter Großmutters Anrichte, dekoriert mit halbleeren Flaschen: Dies waren die Hauptargumente dieser Schöner-Saufen-Verzauberung.

An den Tisch vor der Abrichte lehnte sich Prince (mit dem Rücken) und betrachtete ein hippes Publikum, wie man es in einer professionellen Trinkanstalt erwartet: Die Bierelite dieser Stadt. Von den Anwesenden kannte Prince nicht viele. Neue Besucher, sie hätten seine Aufmerksamkeit erweckt, blieben erst einmal aus. Er hatte Muße, an seine Krankheit zu denken, die sich jetzt, wo er nicht abgelenkt war, sofort bei ihm meldete. "Frauen leiden weniger unter einem Crohn", dachte er. Er meinte dies nicht epidemiologisch-statistisch, er wusste, dass gleich viele Männer (Männer?) wie Frauen erkrankten (ungefähr). Aber konnte man diese chronischen Crohn-Weiber nicht beneiden (nämlich um ihre Crohn-Leiber)?: Diese Leidensgenossinnen, die eine makellose Figur besaßen, nicht zuletzt durch den Raubbiß ihrer entzündeten Gedärme? Sie entsprachen den oberschlanken Vorstellungen der Jetztzeit (verglichen mit seinem eigenen muskellosen Blamage-Body) Er erinnerte sich, dass ein Arzt ihm einmal erzählt hatte von ehemaligen Betroffeninnen, die so etwas ähnliches wie vollkommen gesund waren, nach Jahren schlimmer Krankheit: Sie wären zu ihm gekommen und hätten sich darüber beschwert, nachdem der Crohn besiegt, hätte sie eine zweite Erkrankung ergriffen, nämlich die Fettsucht. Das ließe sich, so der schlaue Arzt, leicht erklären: Sie wären jetzt so dick wie ihre Mütter und Schwestern, nachdem die Krankheit, die auszehrende, nicht mehr für die Figur sorgte.

"Mag sein", spekulierte er mit sich, "es scheint, dass ich nicht nur die falsche Krankheit habe (gibt es eine richtige?), sondern auch noch das falsche Geschlecht (gibt es ein richtiges?): Falsche Freunde plus falsche Ärzte.

Kannte Prince das Legend nicht aus alten Zeiten? Am dritten Tisch auf der rechten Empore wartete früher seine hebräische Freundin auf ihn. Eine Gazelle aus der Negev-Wüste, in Bukarest geboren und in Frankfurt aufverwachsen. Man hatte ihr eine glänzende Zukunft prophezeit (an seiner Seite). Sie hatte ihn damals über die Besitzverhältnisse dieser Stadt aufgeklärt (alles Israelis, die mit dem Geld der Wiedergutmachung Kneipen gekauft haben): Während er versuchte, ihr die Welt zu erklären, speziell den mosaischen Kulturkarneval: Und den Antisemitismus, der sich in Minderwertigkeitskomplexe gewandelt hatte: Wegen der Schande ("wir werden den Juden Auschwitz nie verzeihen").
Er war damals das was sie war, aber viel inniger! Und es hat ihn vorbereitet auf das, was jetzt kommen soll.
Er beobachtete jetzt wie damals auch die beiden Wissenschaftler, die in der oberen Reihe auf der linken Seite saßen, Abend für Abend: Er alt und blau, sie jung und schlau. Beide versuchten mit Erotik-Energie, das Geheimnis der Materie zu knacken. Dies ging Prince durch den Geist und er fühlte, dass dieses Kulturcafé und seine Einwohnerschaft ihn wieder zu langweilen begannen. Er bestellte sich einen Latte macchiato und impfte diesen mit drei Lactase-Tabletten (600 mg).

"Es ist schon meine dritte Bar heute, aber es hat mich nicht zu einem Menschen gemacht", dachte er, den Rücken an der Wand und die Eingangstür im Auge. In seiner Hose vibrierte sein Handy.
"Der einzige Sex, den ich mir gönne", witzelte er über sein Telefon. Eine SMS von seiner Divina "Care 4 U, See U 2 day?".
"9"
war seine Antwort. SMS-kurz und schroff. Auf so was: Keine Lust!
Einen Aktivisten von Wildlife hatte er am Mobile: So nannte sich die Organisation, mit der er die Gefangenen-Befreiung in Szene gesetzt hatte. Dabei war es ihnen gelungen, die Universitäts-Tierställe zu knacken ("Klinik für experimentelle Nephrologie"): Keine 500 m weit vom Legend hatten sie die Gatter geöffnet. In den Käfigen wurden Hunde gehalten, an deren Nieren selbsternannte Sauerbruchs herummachten. Man konnte das Bellen und Heulen (erst Bellen, dann nur noch Heulen) jede Nacht hören, nicht nur auf dem Universitätsgelände, sondern auch in den umliegenden Straßen. Die Aktion selber war sauber gelaufen, die Hunde erwiesen sich als verständig: Alle waren sofort abgehauen, auch die frisch operierten. Hoffentlich hatten sie eine Niere drin.

Wildlife hatte diese Aktion lange geplant. Prince fand sie erst lächerlich, hatte dann aber doch geholfen. Aber eigentlich war es nicht sein Ding: Er hatte besseres zu tun: Er wollte Patienten befreien.
"Wissenschaft", so dozierte er, "gehört zu dem Besten, was unsere Kultur hervorgebracht hat, wir verdanken ihr viel. Aber: Wissenschaftler sind eitle, geltungsbedürftige, skrupellose und betrügerische Egomanen, beides steht kontrastisch nebeneinander: Wahrheitssucher auf Abwegen. Man muss ihnen (den Wissensschuftlern) auf die Hände schauen und schlagen".

Prince steckte das Mobile wieder in seine Tasche und konzentrierte sich auf die Eingangtür. Es dauerte lange, bis diese sich nach außen öffnete (wie alle Kneipentüren: Feuer-amtliche Anweisung). In der oberen Hälfte des Raums geschah gar nichts, in der unteren erschien Madmouse, der kleingewachsene Held, ein Boulevardjournalist, ein Zeitungs-Hobbit, der auf fabelhafte Weise schon eine ganze Reihe von Medizin-Professoren erlegt hatte. Auf ihn hatte er gewartet, mit ihm wollte er konspirieren an diesem Abend:


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