Der authentische Bericht eines jungen Mannes, der sich mit seiner Krankheit abfindet, aber nicht mit allem anderen

Keni Wright
(aus dem Amerikanischen übertragen von den Herausgebern der Website)
Folge 1

Er schwamm auf dem Rücken, ließ sich träge treiben, mit wenigen Bewegungen und betrachtete (reflektierte) den Widerschein des Lichtes auf der Oberfläche des Wassers, das ihm hier besonders gleißend erschien, wie überhaupt das gesamte Etablissement, dessen Bassin er gerade nachdenklich benutzte. Man war Gast eines Tempels der Körperlichkeit, in dem die Lebenslust gefeiert wird, wenn auch unter Mühen und Anstrengungen: für die eine neue Sprache erfunden werden mußte: Die der Cross-Crunches und Supreme-Workouts um Biceps, Triceps, Quadriceps und Deltoideus schwellen zu lassen, alles helfende Muskeln des Cremasters (Hodenheber). Von der schimmernden Oberfläche des Wassers sprang sein Blick auf die hochpolierte Poolbar, daneben das Folterlabor mit Druckbänken und anderen Muskelaufblasapparaten. Er betrachtete dies keineswegs mit Verachtung. P. war kein Intellektueller, eher schon dessen Karrikatur. Er fand Gefallen an alledem, nicht zuletzt auch an den Kombattantinnen, die mit ihm im Wasser poolten, die Barhocker garnierten oder auf einem unsichtbaren Laufsteg auf- und ab pirottierten. Er betrachtete mit Entsetzen in den vielfältigen Spiegelungen an Wänden und Decken seinen eigenen Unkörper, der ihn vor einigen Monaten noch leidlich muskelgestählt, jetzt mit dünnen Armen, Beinen und schlaffen Bauchdecken über einem aufgewölbten Bauch mit viel zu viel Gas darin verspottete.

"Immerhin hält es mich mühelos auf der Wasseroberfläche", kommentierte er selbst die Luftblase unter dem, was in besseren Zeiten so etwas wie ein Sixpack hätte sein sollen und das jetzt als eine Verhöhnung männlichen Fleisches schien. Statt eines Waschbretts erinnerte es nun an eine Trommelschleuder. Aber auf dem Rücken schwimmend konnte er sich seiner Darmluft ein wenig erleichtern, sobald er den Whirlpool-Bereich passierte.

"Sie leiden unter verschärftem Meteorismus" bezichtigte ihn sein Arzt, offenbar ein Meteorologe. Er schwamm an den Beckenrand neben der Bar, deren Wände mit der amerikanischen Standarte geschmückt waren (mit über 50 Sternen, die letzten beiden für Afghanistan und den Irak). Als er aus der Wanne stieg, bemerkte er die spöttischen Blicke der männlichen Mitbewerber, für die er eine Konkurrenz nicht war und die mitleidigen Augen der Damen, denen er sich entzog, indem er in seinen Saint Matin Merlin Bademantel schlüpfte, um wieder ein bißchen selbsbewußt sein zu dürfen.

Er ging an die Bar, bestellt eine White Lady und schrieb das Programm für die nächsten drei Stunden Muskelkrieg, obwohl er wusste, daß er dies gar nicht würde bewältigen können und nur dem Wunsch gehorchte, seinem Äußeren gegen jede Wahrscheinlichkeit ein wenig Glanz geben zu dürfen. P. war krank, chronisch malade und er wusste, daß ihm im Bezug auf Lebensgenuß Schnüre angelegt waren. Er hatte einen Darm, der ihn haßte und der ihn betrog, der ihn lächerlich machte in aller Öffentlichkeit, besonders vor Freunden und Freundinnen demütigte, der ihn beschiß. Und die letzten acht Jahre seines Lebens hatte er mit verzweifelter Mühe versucht, diesen Krampfdarm samt seiner Marotten zu bekämpfen. Aber angesichts seines körperlichen Elends jetzt in dieser Zeit, die seine Ärzte als "stabile Remission" bezeichneten:
"Also es geht Ihnen doch gut…"
fand er weder an dem Kampf noch am seinem Leben überhaupt etwas Perspektivisches und er überlegte, welche Alternativen zu diesem sinnlosen Auseinandersetzung gegen einen unbezwingbaren Gegner es geben konnte. Welche anderen Möglichkeiten boten sich ihm? Er mußte etwas unternehmen, "Er brauche einen neuen Lebensstil/Lebensziel, eine diametral andere Supersinn-Antwort". Darüber grübelte er nach, während er Eiweiß mit Alkohol schlürfte, dadurch eine flammende Wut seiner Gedärme riskierte und schon nach dem dritten Schluck mußte er unterbrechen und laufen, schnell laufen, um sich zu entleeren, der Gipfel der Selbstdemütigungen sagte er sich, als er die Aufschrift auf dem weichen grauen Papier betrachtete, ich wische mir damit meinen damit Hintern ab und es sagt "Danke".

Während er zurück an die Bar schlenderte, nicht so entspannt wie es aussehen sollte, denn nach dem Stuhlgang ist vor dem Stuhlgang, in Tagträumen befangen, hörte er seinen Namen rufen mit Mädchenblüten-sanfter Stimme. Er sah Rosa, die Geliebte vergangener, weitaus besserer Jahre.
"Frierst Du?", fragte sie spöttisch, weil er sich so ins Textil vergraben hatte, während alle anderen, auch Rosa, sich bemühten, ihre braune nackte Haut zeigten.
"Nur wenn ich an Dich denke", sagte er etwas feindselig und nicht sehr originell.
"Ich merke schon, Du bist wieder versunken in Deinem Selbstmitleid".
"Was heißt hier Selbstmitleid? Du ahnst nicht, wie sehr ich Dich bedauere".
"Wozu?".
"Meinst Du: Wozu? Oder doch eher: Weshalb?".
"Wozu weshalb?".
"Bitte?".

Und so flirteten sie spitz und schläfrig, wie man es mit Menschen versteht, die man schon einmal erobert hatte, so daß sich keinerlei Illusionen einstellen wollen. Und während sie so redeten, er trank gerade die vierte White Lady, obwohl er wusste, daß es ihm nicht bekam, versuchte er, seine Kontinenz zu stabilisieren, indem er sich fest in das Polster des Barhockers drückte. Das gab ihnen Zeit, über Wichtiges zu sprechen. Rosa schaute ihn dabei nachdenklich zärtlich an und fragte:
"Sag' einmal: Wenn du vor Gott und seinen Heiligen stündest, was würdest du ihn fragen?".
Ohne zu überlegen antwortete er: "Ich würde fragen: Wozu?".
"Was meinst du mit "Wozu""?
"Wozu dieses alles dienen soll, das alles, na ja, unser Leben, die Schöpfung". "Was denkst du…", entgegnete sie intelligent, "…würde Gott antworten?"
Jetzt brauchte er für die Antwort etwas länger.
"Möglicherweise würde Gott antworten: Das ganze ist ein Karneval zur Inthronisierung der Liebe".
"Wie kommst Du darauf?".
"Weil es sie nicht immer gab auf diesem Planeten, die Liebe. Als das Leben entstand, stellten sich Mutterinstinkte und allerlei Reflexe ein. Und später in der Evolution eine Solidarität aus Zweckmäßigkeit. Aber dann generierte das Leben den Gotteseros". Und während er sie anschaute, glaubte er sich jedes Wort.
"Nämlich die Liebe, Gatten-, Kinder-, Nächsten- und Gottesliebe für sich sind das Bemerkenswerteste, das die Schöpfung hervorgebracht hat, und unbestrittenen die Cröhnung der Evolution, oder?".

Dieses stand sehr im Gegensatz zu den nihilistisch-kämpferischen Gedanken, die ihn ursprünglich bewegt hatten, als er bei Cocktail Nummer 1 innere Monologen über sein heruntergekommenes Selbst sowie die Eitelkeit des Ortes mit Dringlichkeit verunglimpft hatte, während er jetzt der verfließenden Rosa von der All-Liebe des Universums predigte, von den drei Schöpfungen, der Entstehung des Seins aus dem Nichts, dem Leben aus dem Sein und eben der Geburt der Liebe. Dieser Widerspruch fiel ihm auf und es wurde ihm blitzartig bewusst, was er zu tun hätte, um seinem Leben eine neue gewaltige Richtung zu geben.
...

» Fortsetzung: Folge 2


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